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Mit der Machete durch den Dschungel



Unser heutiger Führer Estefan ist die pure Knuffigkeit. Irgendwo in den 60ern ist er ein strahlender Indigener, der in diesem Wald ohne Touristen aufgewachsen ist. Er gehört zum Tribe der Ticuna, spricht deren Sprache, die er uns sofort vermittelt und sein spanisch ist so deutlich, dass wir ihn einwandfrei verstehen. Perdido. Hahaha. Verlaufen.
Zum Glück tragen wir Gummistiefel, dass absolute Lieblingsschuhwerk der Indigen, auch dort wo es trocken ist. Zum Glück, weil wir so Schlangen, die wir nicht schnell genug sehen könnten, eine Wand von Gummi entgegenzusetzen haben. Aber vorher ausschütteln. Sagt keiner, weiß ich aber aus Filmen. Skorpione lieben diesen Schutz.


Er läuft mit uns 1-2 Stunden noch tiefer in den Dschungel. Immer wenn wir so etwas ähnliches wie einen Pfad finden, biegen wir wieder ins Unterholz ab. Mit der Machete schlägt er uns den Weg frei. Auch wir dürfen die Machete bedienen, lernen dass man immer diagonal schlägt. Dann ein großer Baum. Der Ceiba. Der Baum ist riesig, verliert sich in der Höhe. Riesige Lianen hängen herab. Dieses sind nicht wie im Film grün, sondern hölzern umeinander gedreht enorm tragfähige Lianen. Unser Führer wird still. Setzt sich vor den Baum. Dann geht er an den Baum, beide Arme berühren das Holz. Er legt seinen Kopf gegen den Baum. Er bedankt sich bei dem Hüter des Waldes. Ein inniger Moment. Nicht inszeniert. Es wiederholt sich jedesmal wenn wir auf einen solchen Baum treffen. Dieser hier ist weiblich, der männliche da drübern sei Acid.


Dann zieht er sich in Gummistiefeln an den Lianen hoch. Setzt sich in einen der Loopings, die die Lianen bilden, winkt hinunter und grüßt in unsere Iphonekamera alle lieben Menschen in Allemania.


Wir lernen welche Pflanzen gegen Malaria helfen, an welchen sich die Frauen reiben, um Falten loszuwerden, was aber nur bei Babies funktioniere. Aus welchem Baum kann man ein Mittel gegen Malaria gewinnen (Kombination aus dreien). Diese klebrige Flüssigkeit aus diesem Baum heilt Knochenbrüche.
Plötzlich reißt er die Hand hoch, kniet sich hin und betrachtet einen Abdruck im Schlamm. Er bewegt sich wieder. No Jaguar. Ameisenbär.
Cool. Leider nachtaktiv. Aber wir sehen die Zerstörung an den Ameisenbauten. Über uns toben kleine Papageien. Leider keine großen.


Aus Totholz, wie es im Amtsdeutsch heißt, bauen wir Brücken über kleine Flüsse, in denen er tatsächlich sofort Fische entdeckt, die sie einfach mit Macheten jagen. Heute macht er das nicht.
Die Kamera macht inzwischen nur noch feuchte Bilder. Die Humidität unserer Klamotten überzieht die Linse mit einem Schleier, den wir auch nicht mit Abwischen durch unsere klatschnassen Shirts entfernen können.


Wir lernen: Alles was rot ist ist toxic. Dieses Knowhow wird mir am nächsten Tag mit den knallroten Weberknecht in meiner Dusche evtl eine unliebsame Begegnung erspart, aber eigentlich ist mir diese Regel auch schon als Kind klar.
Je knalliger, desto wahrscheinlicher giftig.


Man kann gar nicht glauben, was diese Menschen hier, bei all dieser Fröhlichkeit für ein furchtbares Leben hinter sich haben. Wie sie von Großwildjägern erlegt wurden, wie Drogenkartelle sie zwangen Dinge zu tun, wie amerikanische Labore an ihnen Menschenversuche vornahmen, Organe stahlen. (Buchtipp Die Toten von Leticia auch kostenlos in der ARD Audiothek)
Dabei hat sich dieser Mensch soviel kindliche Freude und Zuversicht erhalten. Wir sind begeistert. Schnell lernt er von Ute das Herzsymbol, das wir in Europa aus zwei Händen formen und mit seiner überschäumenden Zuneigung für uns, kann er es gar nicht oft genug verwenden.

Dafür müssen wir aber auch Moinchi sagen lernen. Was danke in der Sprache der Ticuna bedeutet.

Er rupft Blätter von einem Farn, rollt sie in der Hand und atmet tief ein. Dann müssen wir. Er grinst. Macht die Atemwege frei. Stimmt. Riecht extrem stark, scharf bis in die Lunge und irgendwas macht es mit dem Hirn. Egal, das kocht eh schon.
Ameisen werden hier auch auf der Haut zerrieben wie in Laos. Nur während die Ameisen in Laos zwar nach Limone schmecken aber als Repellend zerrieben stinken, essen sie die hier gar nicht, dafür riechen sie zerieben nach Limone. Wir ziehen es dennoch vor, nicht so viele kleine Leben auszulöschen.


Irgendwann sehen wir einen gefällten Baum. Er wird vor Ort in Bretter zerlegt. Es liegen noch viele Bretter herum. Ab hier sehen wir das ziemlich oft. Es schmerzt uns. Es sind ziemlich große Bäume. Scheinbar sind nicht alle heilig, denn wir erfahren – sofern richtig verstanden – dass die Community der Indigenen, das Holz für den Hausbau nutzen darf. Unsere Gefühle sind ambivalent.
Oft werden halbe Bäume zurückgelassen. Wenn schon denn schon, denke ich mir. Dann verarbeitet wenigstens alles.


Dann geraten wir auf einen Fläche wo viele Bäume gefällt wurden. Dahinter mitten im Urwald eine kleine Plantage. Keine Monokultur. Hier wachsen Früchte des Regenwaldes angebaut von ein paar Indigenen. Große Pfannen zum Einkochen der Yuca Palme. Daraus entsteht nach 10 Stunden kochen Sud, der zu Mehl wird. Wir naschen uns durch Lulu, der als Saft nach Pfirsisch schmeckt, hier aber eher sauer ist und treffen auf unsere neue Lieblingsfrucht: Guama. Eine gurkenähnliche bis zu zwei Meter lange Frucht, die man aufklappt. Innen gibt es lange schwarze Kerne die von weißem Fruchtfleisch umhüllt sind und sehr sehr lecker schmecken.
Von hier aus geht es noch eine halbe Stunde weiter, bis wir wieder in unserer kleinen Reserva ankommen. DUSCHE!!!


Es war unfassbar anstrengend, aber die Tour wird uns lange in Erinnerung bleiben.
Unser Führer wird zu einem guten Freund, der am nächsten Tag leicht angetrunken in die Unterkunft kommt uns Herzen zeigt, mich umarmt und immer wieder von Amigo spricht und mir ins Ohr flüstern will, wie nochmal meine Frau heiße, die eine Hängematte weiter liegt. Als ich ihm den Namen sage und er wie ein Kind erfreut sagt, „Aber nicht verratten, dass ich es nicht mehr wusste“, lacht Ute. Er war natürlich viel zu laut. Laut UTEEEE rufend geht er zur nächsten Hängematte um „meine Frau“ zu umarmen und Herzen zu zeigen. Estafan ist wirklich das Herz unserer Zeit hier.

Infos:

Die Tagwanderung in unserer Reserva kostet bei 2 Personen 80.000 /Person ca 20 Euro. 90.000 alleine. Zeit 2-3 Stunden.

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