Tayrona Nationalpark – Der lange Weg hinaus
Die Nacht in den Hängematten im Nationalpark war heiß und unbequem, aber ruhig. Ich träume in der Nacht, dass wir aufwachen, alle sind bereits weg und es regnet ohne Unterbrechung.
Als ich um 5 Uhr aufstehe, sind alle noch da und es ist wolkig. Kein Regen. Der Traum hat die Angst vor der zweiten Etappe verarbeitet. Während wir uns gestern nur 4 Stunden über den Berg kämpfen mussten, müssen wir heute 2 Stunden auf den Gipfel zurück, dann ca 3 Stunden zurück ans Meer an einen anderen Strand. Von da aus an etlichen Stränden entlang 2-3 Stunden zum Parkausgang, den wir bis 17 Uhr erreicht haben müssen und danach noch die 1,6 km durch den Dschungel hinauf zu unserem Hotel. Die Sorge ist, dass wir gar keine Zeit zum Entspannen und genießen haben.
Um 5 Uhr sind wir wach und frühstücken am Strand. Wir haben alles dafür dabei.
Um 6.30 Uhr wandern wir los. Die meisten anderen schlafen noch, werden später hier frühstücken.
Ich besorge mir einen Stock, da wir die ersten sind und ich sorgen habe, dass große Spinnen noch größere Netze gebaut haben.
Wir kämpfen uns eine Stunde bergauf. Haben die Hälfte des Berges geschafft und da wir so überhitzt sind, springe ich erst einmal in einen Wasserfall. Um die Zeit braucht man nicht mal eine Badehose. Aber ein Otter (wahrscheinlich) flüchtet aus dem Wasser als ich – ich möchte sagen – zischend ins Wasser eintauche.
Von hierab geht es eine weitere Stunde steil bergauf. Wir treffen auf kleine Lizt Äffchen, die fiepend in den Bäumen herumspringen und uns genau beobachten.
Irgendwann überholen uns alleine und mit einer Leichtigkeit die beiden Hotelhunde und verschwinden auf dem Pfad vor uns. Kurz rast das Herz. Es gibt hier auch Jaguare.
Nach einer weiteren Stunde treffen wir sie wieder. Sie haben Herrchen abgeholt. Wir waren also nicht die ersten heute morgen. Der Hostelvater ist mit 6 vollbepackten Mulis und den beiden Hunden schon wieder auf dem Weg nach unten. Die Tiere sind in besserer Verfassung als die Pferde und können frei laufen und selbst entscheiden, wie sie die steilen Felsen hinabsteigen. Zeit zum Fressen ist auch noch.
Als wir oben ankommen erinnern wir uns an das kleine Haus der Indigenen, wo es gestern kaltes Wasser und frischen Orangensaft gab. Also biegen wir nicht nach links zum nächsten Strand ab, sondern gehen noch 300 Meter geradeaus und erholen uns bei dringend benötigten Flüssigkeiten.
Dann geht´s auf neue Pfade und wir laufen die 6 km hinab in Richtung Nudist Beach und Cabo Beach. Wenn wir dort unten ankommen, werden wir den Bereich erreichen, in dem die Massen unterwegs sind. Bis dahin sind es noch ein paar Stunden in einer ruhigeren Umgebung und mit der Chance auf Tierbegegnungen.
Uns begegnen ein paar Indigene, die hier wirklich in ihren weißen Leinengewändern herum laufen. Die erste Gruppe besteht aus einer Frau, die aussieht wie eine Achtjährige und zwei zuckersüßen Kindern mit weißen Leinengewändern und kleinen Umhängetaschen. Fotos gibt es nicht, weil nicht erwünscht.
Danach treffen wir auf eine weitere Gruppe, die zwei Minischweine mit sich führt. Die älteren Frauen stricken (oder so ähnlich) beim Laufen. Die Indigenen sind nicht sehr erfreut und kämpfen für die zeitweise Schließung des Parks. Die berühmte tausende Jahre alte Stadt, die hier im Dschungel auf unserem Weg liegt, kann man seit 2019 auch nicht mehr besuchen.
Schon gestern taten mir und auch Ute die Knie beim Abstieg weh. Nach etwa einer Stunde Abstieg sind die Schmerzen kaum noch zu ertragen. Ich versuche die Schmerzen mit meinem Spinnenstock abzumildern. Aber immerhin hat uns noch niemand der anderen überholt.
Dann kommen wir an eine Kreuzung an der wir plötzlich auf die anderen Treffen. Ausgeruht, geduscht und gefrühstückt, kommen sie alle eine Abkürzung von 3 Stunden und – wichtiger – 200 Höhenmetern von links herausspaziert. Ich bin fassungslos. Den Weg sollte es angeblich nicht geben.
Extra so früh aufgestanden, so viele Stunden gekämpft und so viele Höhenmeter umsonst.
Zeit, die uns an den schönen Orten fehlen wird, weil wir viel langsamer sind.
Und nun überholt uns einer nach dem anderen.
Da meine Jeans klatschnass geschwitzt ist und sich der Sand vom Strand bei der Luftfeuchtigkeit auch nicht entfernen ließ, sind meinen Oberschenkel so aufgerieben, dass Blut meine Beine herunterläuft. Die Knie lassen sich nur noch unter Schmerzen biegen (zuerst nur das Links) und dadurch, dass ich versuche die Schmerzen zu vermeiden kommen dadurch erzeugte Rückenschmerzen dazu.
Wenn mich jetzt jemand so aus dem Wald kommen sieht, wird der schreiend weglaufen. Und Ute geht s kaum besser.
Und da es so nur extrem langsam auf den sehr steilen Weg bergab geht, werden wir ständig überholt, bis wir die letzten sind. Teilweise sind die Felsen so steil und glatt, dass sich ausgewaschene Bobbahnähnliche Tubes gebildet haben, in denen wir fast sitzend hinuntergleiten müssen. Zum Glück regnet es nicht.
Die Brüllaffen dröhnen durch den Urwald. Würden nicht so viele Wanderer Bluetoothboxen mit Musik beim Wandern durch diesen Park mit sich führen, würde man eventuell auch ein paar Tiere sehen.
Dann der erste Strand. Nudist Beach. Die Wellen sind zu hoch zum reinspringen und während die ersten aus dem Nachtcamp schon am Strand relaxen, können wir nicht entspannen.
Wir brauchen Wasser und Nahrung und die gibt es erst eine halbe Stunde weiter am Cabo Beach. Dem berühmten Strand, wohin sich Menschen mit dem Boot bringen lassen oder aus der anderen Richtung mit dem Bus. Die letzten 4 km müssen die dann aber alle laufen.
Der Strand ist proppevoll aber der Anblick ist umwerfend. Runde riesige Felsen umranden den kleinen Doppelstrand mit kleiner Aligator-Lagune dahinter.
Wir stolpern verschwitzt im Wanderer Outfit aus dem Wald und werden von den ganzen Bikinibabes und Pumperboys entsetzt angeschaut. Hier wird scheinbar gepost. Man rechnet nicht mit Leuten, die durch den Park wandern.
Wir finden eine Bude mit Getränken und es gibt hier eiskalte Cola Zero. Wie in einem Paralleluniversum.
Unsere Beine wollen nicht aber wir brauchen Essen und so gehen wir nicht baden sondern schwanken vorwärts. Doch die Preise sind unglaublich.
Ich hatte allerdings gehört, dass entlang des Weges überall Stände gäbe. Also gehen wir weiter.
Hier hätte man auch übernachten können, aber die hunderten Zelte und Hängematten sind nicht sehr verlockend. Wenn es auch einen tollen Pavillion auf der Insel im Meer gibt, in dem Hängematten hängen. Allerdings laufen tausende Menschen zwischen deinen Hängematten am Tag rum, wenn du hier schläfst.
Wir stolpern voran und nun ist von Wandern keine Rede mehr. Man kann sich nämlich statt laufen auch mit Pferden zum Ausgang bringen lassen und da diese auf weiten Teilen die gleichen Wege reiten, treiben die Cowboys die Tiere im Trab mitten in die Wandernden. Ständig. Außerdem wird hier nicht zusammengewandert, sondern gegeneinander. Man schubst und überholt, seuftz genervt und drängt ab. Das gilt für Kolumbianer genauso wie für Deutsche. Das hier ist eine Autobahn. Und da die Hufe der Pferde den Weg zerstören haben wir nun auch unüberwindbare Matschseen, durch die wir gehen müssen.
30 Minuten weiter gibt es wieder einen Strand und hier gibt es einen Stand mit Paninis, die bezahlbar und lecker sind. Wir brauchen eine Pause. Finden bei 37 Grad einen Schattenplatz und gehen ins Wasser. Es brennt. An den Beinen und auf dem Kopf. Alles klebt. Vom Salz, vom Schweiß.
Wer sagte nochmal, dass Wandern großartig sei?
Nach 30 Mintuten müssen wir weiter. Uns sitzt die Zeit im Nacken. Um 17 Uhr müssen wir raus sein und wir haben noch etliche km. Nach weiteren 30 Minuten erreichen wir Arrecive. Hier gibt es richtiges Essen, dass nur überteuert und nicht maßlos überteuert ist. Wir essen die furchtbar süßen Nudeln und bestaunen die Küste, die Felsen, die Lagunen.
Viel Zeit ist nicht, wir müssen weiter. Dann kommt der Zeltplatz.
Wir treffen auf unsere Nachbarn von gestern Nacht, die vom Nudist Beach. Wie sind die so schnell hierher gekommen?
Ob wir auch hier bleiben, fragen sie. Würde ich so gerne. Der Platz sieht viel besser aus als gestern, sehr leer. Sehr still. Aber wir haben unsere Unterkunft draußen schon bezahlt und es gibt kein Empfang, um nachzufragen. Heute weiß ich, wir hätten einfach bleiben sollen.
Es geht die letzten 3 km nicht zügig voran. Stattdessen geht es ständig hoch und runter. Über Steine, Felsen aber auch entlang von atemberaubenden Küsten und Stränden, die wir nicht mal richtig anschauen können. Genau das hatte ich anfangs befürchtet.
Es ist viertel vor 5 wir sind noch 3 km vom Ziel entfernt und da ist ein Eismann mitten im Dschungel.
Jetzt ist alles egal. Es gibt Kokoseis.
Der Knackpunkt ist, wenn wir nicht rechtzeitig den Punkt erreichen, fahren die Shuttlebusse (4 km) zum Ausgang nicht mehr und wir müssen die Strecke zusätzlich laufen und es wird dunkel. Ich hatte aber irgendwo gelesen, dass sie bis 18 Uhr fahren und mein Eis rät mir, auf diese Info zu hören.
Vor uns laufen ja genug andere. Das wird schon.
Dann entdecken wir wieder kleine Affen. Andere diesesmal. Auch süß.
Und kurz vor 18 Uhr sind wir am Parkplatz und 100 Meter vor dem Ziel: Der Endgegner.
Eine Katze läuft schurrend auf Ute zu. NEIN! Nicht jetzt. Diese Hetzerei, kilometerweit. Nur um wenige Meter vorm Ziel von einer Katze ausgebremst zu werden. Aber Ute muss. Es geht nicht anders.
Aber nach nur einer Minute ist sie wieder in der Spur und wir fallen in den Bus und es gibt kalte Getränke.
4 km zum Parkausgang. Niemand hält uns auf uns sagt, wir seien nicht rechtzeitig herausgekommen, wir müssten jetzt für immer bei den Affen wohnen.
Gegenüber gibt es einen Kiosk. Schnell ein paar Chips, denn unsere Unterkunft liegt ja ebenfalls im Dschungel und Abendessen können wir uns da nicht noch einmal leisten.
Dann stoppen wir den Bus Richtung Santa Marta, der am Park vorbei fährt, und nach 5 km springen wir ab. Es wird dunkel. Ab hier müssen wir jetzt noch 1,6 km bergauf über die Hängebrücke und durch mehrere Flüsse zu unserer Unterkunft im Dschungel.
Die Taschenlampe lässt nach, wir tappern vorwärts. Wir können nicht mehr nach 1 km am steilen Weg bergauf geht nichts mehr. Ich beschließe, dass es nicht mehr geht. Fühle mich wie ein Überlebender, der weit über seine Kräfte aus dem Dschungel gestolpert ist. Nun sind die Rettungskräfte dran.
Oder ich bleibe einfach hier liegen. Ich sage nicht wörtlich “lass mich zurück, geh du weiter”, aber inhaltlich schon. Ute keucht weiter den Berg hinauf. Ich liege auf der Ameisenstraße, schaue in die Sterne und denke: “Ihr sollte doch das vielfache eures Gewichts tragen können. Dort entlang mis amigos!”
Dann ein letzter Kraftakt und nach weiteren 100 Höhenmetern hören wir wie ein Motorrad sich den steilen Weg hinaufkämpft. Es ist stockdunkel. Es ist unser Host. Er nimmt uns den Rucksack ab… und fährt weiter! Hallo? Gerade noch wollte ich gentelmanlike sagen “nimm Ute mit” jetzt bin ich entsetzt, dass er MICH hat stehen lassen. Es dauert noch 15 Minuten bis wir japsend oben ankommen. Der Hund freut sich. Ich springe in den Pool, weil ich denke, das entspannt, stattdessen drohe ich durch Entkräftung zu ertrinken. Alles Akkus sind leer. 23 km. Rauf und runter. Wir beziehen unsere Unterkunft und dann fällt der Strom aus. Die ganze Nacht. Kein Ventilator. Vierte Nacht im Dschungel. Das Schwitzen, das Kleben geht in die nächste Runde…
Sagten wir schon, dass wir planen in den Amazonas zu reisen? Das wird großartig